Mittwoch, 12. Juli 2006

Wir haben ihn doch so lieb gehabt

Noch gestern war die Welt weiterhin benebelt vom vier-Wochen-WM-Taumel. Noch gestern war die deutsche Fußballwelt rosarot und wattebauschig.
Gestern noch war man hingerissen, verklärt – ja fast wie verliebt. Heute Morgen wacht man auf und ist ernüchtert. Auf der Autobahn flattern nur noch wenige schwarz-rot-goldene Fähnchen im Wind. Dafür liegen ganz viele am Straßenrand. Ganz alleine und dreckig. Wann erbarmt sich jemand und birgt die Kadaver der Deutschland-Flaggen aus den Gräben? Noch schlimmer: Klinsi will nicht mehr Bundestrainer sein. Dabei wollten es doch alle so sehr. Alle Macht dem Volk – was bringt uns eine Demokratie, wenn ein Herr Klinsmann sich dem Willen der Mehrheit nicht beugt. Dabei gab es in dieser Frage keine Debatten, keine Koalitionskrise, keine Vertrauensfrage. Okay, vor zwei Jahren vielleicht. Als Rudi Völler plötzlich nicht mehr wollte. Der eine Rudi Völler. Geliebt, verehrt, besungen. Keiner glaubte daran, dass es einen würdigen Nachfolger geben könnte. Zu groß die Sympathien, zu groß die Fußstapfen die der nächste Bundestrainer ausfüllen hätte. Und dann kam Klinsmann. Sonst wollte ja keiner. Klinsi mit dem niedlichen Grinsen und der nasalen Stimme. Klinsi, der die deutsche Elf trainieren soll und dabei in den USA wohnt. Der kann das doch nicht. Sieht man ja. Schmeißt etablierte Spieler aus dem Kader, nimmt dafür unerfahrene. Die WM-Vorbereitungsspiele bestätigen seine Unzulänglichkeit. Aber nach dem 9. Juni, nach Costa Rica haben ihn alle lieb. Nach dem 9. Juli sind wir zwar nicht Fifa-Weltmeister, aber dafür Champions der Herzen. Wir alle und Klinsmann vorneweg, als erster Held des Staates. Jetzt wollen wir ihn aber auch behalten. Alle Mittel der politischen Willensbildung wurden ausgeschöpft. Die Nationalelf reichte per Bildzeitung gar eine Petition ein, um ihren Trainer behalten zu können.
Als die Fußballer am Sonntag im Berlin „Danke Deutschland“ sagten und trugen, stand Klinsmann vor hundert Tausenden und wurde von den Moderatoren zum Ja genötigt. Trotz Beifall und Adrenalinstoß bat der neue Superheld um weitere Bedenkzeit. Er hat sich nicht zur Zusage hin- und mitreißen lassen. Aber wieso denn bloß? Alle wollen ihn doch. Alle klatschen. Alle jubeln. Noch ein paar Wochen und jemand hätte auch für ihn ein Lied gedichtet. Alle hätten mitgesungen. Mindestens bis zur EM. Wenn es da gut laufen würde, auch noch länger. Aber nur dann.
Zu 82 Millionen Menschen, die einen lieb haben Nein zu sagen – Frechheit. Oder eher Größe? Oder noch eher: Vernunft. Wenn es am schönsten ist, soll man auf hören. Solange das Fußballvolk einem Küsschen zuwirft, kann man in Würde gehen. Jetzt macht Löw den Job. Den haben wir aber noch nicht so lieb. Vielleicht bei der EM. Vielleicht aber auch nicht.

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